Flüssigkristallanzeigen
Sicherlich wäre die Beschäftigung mit Flüssigkristallen ein exotischer Forschungszweig geblieben, wenn nicht im Jahr 1971 die beiden Physiker M. Schadt und W. Helfrich bei Grundlagenuntersuchungen über Flüssigkristalle in elektrischen Feldern eine Anordnung gefunden hätten, die die Funktion eines spannungsgesteuerten Lichtventils hatte. Nach ihren Erfindern benannt, hat die Schadt-Helfrich-Zelle, als Flüssigkristalldisplay (LCD: Liquid Crystal Display) ihren Siegeszug als Anzeigeelement weltweit angetreten. Heute begegnen uns Flüssigkristallanzeigen in nahezu allen technischen Geräten, in einfachster Form als 7-Segmentanzeige in Uhren und Taschenrechnern, aber auch in komplexer Form als Punktmatrixdisplay oder hochauflösender Farbbildschirm .
Eine Flüssigkristallanzeige nach dem Prinzip der Schadt-Helfrich-Zelle besteht besteht aus zwei Glasplatten, die durch Abstandshalter in einem Abstand von typisch 10 Mikrometer zueinander gehalten werden. Auf den sich gegenüberliegenden Glasflächen sind transparente leitfähige Schichten aus Indium-Zinn-Oxid aufgebracht, die später die beliebig strukturierbaren Ziffern, Zeichen oder Segmente darstellen. Die Glasplatten sind auf den Innenseiten so präpariert, dass die Flüssigkristallmoleküle an jeder Glasoberfläche mit ihren Längsachsen in einer bestimmten Richtung parallel zur Oberfläche ausgerichtet sind, und zwar so, dass die Orientierungsrichtungen an den beiden sich gegenüberstehenden Oberflächen senkrecht zueinander liegen, wie in Abbildung 11 dargestellt. Wird nun ein nematischer Flüssigkristall zwischen diese Glasplatten gebracht, so muss er aufgrund der festgelegten Randbedingungen eine 90°-Schraube beschreiben. Strahlt man polarisiertes Licht, dessen Polarisationsebene parallel oder senkrecht zur Randorientierung liegt (Hauptschwingungsrichtungen) durch diese Anordnung, so folgt die Polarisationsebene des Lichtes der Schraubenstruktur und erfährt bei Durchgang durch die Flüssigkristallzelle eine Drehung um 90°. Gleiches Verhalten findet man übrigens bei der in der Literatur beschriebenen sog. Reuschschen Glimmersäule, bei der in einem Stapel doppelbrechender Glimmerplättchen jedes folgende Plättchen um einen kleinen Winkelbetrag bezüglich der optischen Hauptschwingungsrichtungen gegenüber dem vorhergehenden gedreht ist. Verringert man die Plättchendicke in diesem Modell immer weiter und lässt den Winkel zwischen den Plättchen in gleichem Maße kleiner werden, erhält man als Grenzfall eine kontinuierlich verschraubte Struktur, wie sie in der Schadt-Helfrich-Zelle vorliegt.
Abbildung 11: Verdrillte Struktur der nematischen Phase in der Schadt-Helfrich-Zelle im nicht geschalteten Zustand
Für das folgende Experiment benötigt man eine Flüssigkristallanzeige, von der die normalerweise fest aufgeklebten Polarisationsfilter entfernt wurden. In den Strahlengang eines Overheadprojektors montiert man zwei Polarisationsfilter und bringt diese in gekreuzte Stellung. Legt man nun die Flüssigkristallzelle so zwischen diese Polarisatoren, dass die Schwingungsebene des polarisierten Lichtes parallel zur Randorientierung in die Zelle eintritt, so erfährt der Bereich, in dem sich der verschraubte Flüssigkristall im Strahlengang befindet, Aufhellung gegenüber dem lichtundurchlässigen Bereich der übrigen durch die gekreuzten Polarisatoren dunklen Fläche (Abbildung 12a).
Abbildung 12a Flüssigkristallanzeige zwischen gekreuzten Polarisatoren im nicht geschalteten Zustand
Abbildung 12b Flüssigkristallanzeige zwischen parallelen Polarisatoren im nicht geschalteten Zustand
Die Schwingungsebene des Lichtes wird also beim Durchgang durch eine Flüssigkristallanzeige im nicht angesteuerten Zustand um 90° gedreht. Legt man an die Elektroden eine Spannung von ca. 5 V an, erscheinen die Stellen, an denen sich die flächigen Elektroden gegenüberstehen, als dunkle Zeichen (Abbildung 12b).
Abbildung 12b Flüssigkristallanzeige zwischen gekreuzten Polarisatoren im geschalteten Zustand
Zum Verständnis dieses Vorganges muss ein wenig ausgeholt werden: Ein nematischer Flüssigkristall ist nicht nur, wie bereits aus den vorhergehenden Experimenten erkannt, optisch anisotrop, vielmehr sind auch andere physikalische Eigenschaften richtungsabhängig. An dieser Stelle sollen uns besonders die dielektrischen Eigenschaften interessieren. Bringt man ein isotropes Dielektrikum, dessen Moleküle ein Dipolmoment aufweisen, in einen Kondensator ein, so wird, sobald ein elektrisches Feld angelegt wird, die Materie polarisiert, indem die zeitlich gemittelte Ausrichtung der Dipole ein wenig von der isotropen Verteilung zugunsten einer etwas stärkeren Orientierung in Feldrichtung gemäß einer Boltzmannverteilung abweicht (Orientierungspolarisation). Bei einer quantitativen Auswertung des Experimentes erhält man die Permittivitätszahl (früher als Dielektrizitätskonstante bezeichnet) als Proportionalitätsfaktor zwischen der elektrischen Feldstärke und der dielektrischen Verschiebung. Die Permittivitätszahl ist bei nicht zu hohen Feldstärken feldstärkeunabhängig. Ein Flüssigkristall zeigt im Gegensatz zu einer isotropen Flüssigkeit eine von der Beobachtungsrichtung abhängige Permittivitätszahl. Aufgrund der Richtungsabhängigkeit definiert man eine Permittivitätszahl parallel zur Vorzugsorientierungsrichtung und eine weitere senkrecht zur Vorzugsorientierungsrichtung. Weisen die Flüssigkristallmoleküle eine größere Permittivitätszahl in Richtung der Moleküllängsachse auf, dann ist die Anisotropie der Permittivitätszahl definitionsgemäß positiv. Wichtig für das Verständnis der Funktion der Schadt-Helfrich-Zelle ist, dass der Flüssigkristall eine möglichst große positive Anisotropie der Permittivitätszahl aufweisen muss. Das erreicht man durch Einbau eines polaren Substituenten in Richtung der Moleküllängsachse, z.B. einer Nitrilgruppe, wie im bereits erwähnten Pentylcyanobiphenyl. Befindet sich solch ein Flüssigkristall in der Zelle und wird dieser einem langsam zunehmenden elektrischen Feld ausgesetzt, so beobachtet man unterhalb einer Schwellspannung keine Reaktion. Bei Erreichen der Schwellspannung richten sich die Moleküle in Feldrichung aus und innerhalb eines relativ kleinen Intervalles ist die Richtung der Vorzugsorientierung parallel zum elektrischen Feld ausgerichtet. Die nematische Phase mit positiver Anisotropie der Permittivitätszahl richtet sich im elektrischen Feld in Feldrichtung, weil ein anisotropes Medium in einen energetisch günstigeren Zustand übergeht, wenn es sich so im Feld orientiert, dass die größere Permittivitätszahl wirksam wird. Andererseits ist der Flüssigkristall in der Schadt-Helfrich-Zelle aber an den Rändern angebunden und wird in der ursprünglichen Ausrichtung durch elastische Kräfte gehalten. Aus diesem Grund erfolgt in einer dünnen beidseitig begrenzten Probe die Ausrichtung nicht schon bei beliebig kleinen Spannungen, sondern erst oberhalb einer Schwellspannung. Ist diese Schwellspannung überschritten, so liegt, von einer kleinen Randschicht abgesehen, eine nematische Phase vor, deren Vorzugsorientierungsrichtung senkrecht zu den Glasoberflächen steht. Man schaut im angesteuerten Zustand bei senkrechtem Blick durch die Anzeige gerade in Richtung der optischen Achse. Die optische Achse aber ist die Richtung scheinbarer Isotropie. Daher erscheinen unter gekreuzten Polarisatoren die elektrisch angesteuerten Bereiche schwarz. Dreht man den Analysator um 90°, erscheinen helle Ziffern und Zeichen auf schwarzem Grund (Abbildung 12c).
Abbildung 12c Flüssigkristallanzeige zwischen parallelen Polarisatoren
In den reflektiv betriebenen Flüssigkristallanzeigen befindet sich hinter dem hinteren Polarisator noch ein metallischer Reflektor (Abbildung 13).
Abbildung 13: Aufbau einer Flüssigkristallanzeige
Eine Flüssigkristallanzeige wird stets mit niederfrequenter Wechselspannung betrieben, um eine elektrolytische Zersetzung des organischen Materials zu verhindern. Trotz der geringen Spannungen treten aufgrund der kleinen Schichtdicken hohe Feldstärken auf: 5 V an 10 Mikrometern sind immerhin 5000 V/cm. Auch in Kleinstgeräten wird durch einen einfachen elektronischen Baustein die Gleichspannung in eine Pulsfolge unterschiedlicher Polarität umgewandelt, die im Mittel gleichspannungsfrei ist.
Moderne Flüssigkristallanzeigen
Auf dem Prinzip der Schadt-Helfrich-Zelle beruhend, wurden recht bald Anzeigen entwickelt, die eine Punktmatrix aufwiesen und die durch eine ausgeklügelte Multiplex-Ansteuerung der Zeilen und Spalten die Darstellung beliebiger komplexer sich ändernde Muster und mäßig bewegte Darstellungen erlaubten. Erst mit der TFT-Technik (TFT, Thin-Film-Transistor) auf derGlassubstratfläche wurden hochauflösende fein strukturierte schnellschaltende Bildschirme möglich. Grundlage war weiterhin vorerst die Schadt-Helfrich-Zelle. Die Farbe wurde durch Farbfilter in den Grundfarben der additiven Farbmischung (RGB, rot-grün-blau) erzeugt, jeweils durch Farbtripel. Wesentlicher Nachteil dieses Displaytyps blieb aber die starke Sichtwinkelabhängigkeit. Für die Verbesserung der hochauflösenden Bildschirme griff man in unterschiedlicher Weise auf die bekannten Grundeffekte zurück und passte sie den jeweiligen Gegenbenheiten an. So werden die Elektroden beim In-Plane-Switching (IPS) als Streifenelektroden auf einer Seite der Glasplatte angeordnet und die Flüssigkristalle parallel zur Glasplatte und senkrecht zur Verbindungsachse zwischen den Elektroden orientiert. Ein Flüssigkristall mit positive rAnisotropie der Permittivitätszahl (Δε >0) richtet sich nun bei Anlegen eines elektrischen Feldes in Richtung der Feldlinien zwischen den Elektroden aus. Bei VA-LCDs (Vertical Alignment Liquid Crystal Displays) werden die Flüssigkristallmoleküle senkrecht zur Oberfläche gestellt. Unter gekreuzten Polarisationsfiltern ist diese Anordnung dunkel. Die Elektroden befinden sich an den gegenüberliegenden Oberflächen der Glasplatten. Bei Verwendung einer Flüssigkristallmischung mit negativer Anisotropie der Permittitivitätszahl (Δε <0), die aus Molekülen mit starken Querdipolmomenten bestehen, richten sich die Moleküle senkrecht zu den Feldlinien aus. Dies führt zwischen gekreuzten Polarisationsfiltern zur Aufhellung. Es gibt noch eine Vielzahl Variationen bezüglich der Elektrodenanordnung und Oberflächenstrukturierung bei den IPS-Displays und VA-Displays, die fürSpezialanwendungen hoch optimiert sind. Genannt seien hier nur Fringe Field Switching (FFS), Multidomain Vertical Alignment (MVA), PolymerStabilized Vertical Alignment (PS-VA) und Patternd Vertical Alignment (PVA).
Die Farbe wird bei allen Displaytypen durch RGB-Farbfilter erzeugt.