Experimente zur Doppelbrechung

Doppelbrechung

Doppelbrechung bezeichnet die Erscheinung, dass ein Lichtstrahl beim Durchgang durch einen optisch anisotropen Körper in zwei Lichtstrahlen aufgespalten wird, die senkrecht zueinander polarisiert sind und sich unabhängig voneinander mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch das Medium ausbreiten. Den unterschiedlichen Ausbreitungs-geschwindigkeiten sind unterschiedliche Brechungsindizes zuzuordnen. Einer der beiden Strahlen breitet sich gemäß dem Snelliusschen Brechungsgesetz aus und heißt ordentlicher Strahl, der andere Strahl folgt diesem Gesetz nicht und heißt außerordentlicher Strahl.

Die Polarisationsrichtungen von ordentlichem und außerordentlichem Strahl stehen senkrecht aufeinander, wobei eine Richtung mit dem Hauptschnitt des Kristalls zusammenfällt. Der Hauptschnitt bezeichnet diejenige Ebene, die aus der optischen Achse des Kristalls und dem Einfallslot des Lichtstrahls aufgespannt wird.

Die optische Achse in einem doppelbrechenden Kristall ist die Richtung, entlang derer jede Polarisationskomponente eines Lichtstrahles den gleichen Brechungsindex erfährt. Die optische Achse ist die „Richtung scheinbarer Isotropie“.

Fällt die Ebene des Hauptschnittes mit der Einfallsebene zusammen, fällt also der Lichtstrahl senkrecht zur optischen Achse ein, so werden ordentlicher und außerordentlicher Strahl nicht getrennt. In jedem anderen Fall wird der außerordentliche Strahl aus der Einfallsebene herausgebrochen.

Im idealen Rhomboeder eines Calcit Kristalles mit gleichen Kantenlängen liegt die optische Achse parallel zur Verbindungslinie zwischen den am kürzesten gegenüberliegenden Ecken.

Für eine anspruchsvolle Vertiefung empfiehlt der Autor das Studium des Lehrbuches Bergmann-Schäfer, Lehrbuch der Physik, Band 3 Optik.

Experimente

Die Doppelbrechung tritt in vielen Alltagsgegenständen auf. Unter gekreuzten Polarisationsfiltern erscheinen optisch isotrope Schmelzen und isotrope Festkörper schwarz. Der Polarisationszustand des Lichtes wird nicht verändert. Optisch anisotrope Körper bewirken eine in ihrer Intensität richtungsabhängige Aufhellung, zum Teil verbunden mit schönen Farberscheinungen.

Ein Mineral mit ausgeprägter Doppelbrechung ist der Calcit oder Doppelspat.

Das Kreuz auf dem Papier erscheint als Doppelkreuz. Dreht man den Kristall, so wandert ein Kreuz um das andere Kreuz herum. Das feststehende Kreuz stellt den ordentlichen Strahl dar, der dem Snelliusschen Brechungsgesetz gehorcht und bei senkrechter Einstrahlung des Lichtes zur Einfallsebene keine Ablenkung erfährt, im Gegensatz zum außerordentlichen Strahl, der auch bei senkrechter Einstrahlung eine Ablenkung erfährt. Ordentlicher und außerordentlicher Strahl sind senkrecht zueinander polarisiert.

Mit einfachen Mitteln lässt sich eine Polarisationseinrichtung herstellen, wie im nachfolgenden Bild gezeigt. Das Bild zeigt den Leuchttisch KAISER slimlite LED mit einem Aufsatz aus zwei zueinander gekreuzten Polarisationsfiltern.

Mit einer derartigen Polarisationseinrichtung können nun doppelbrechende Materialien qualitativ und quantitativ untersucht werden. Zur quantitativen Beschreibung soll die nachstende Formel herangezogen werden, die die Intensität des durchgelassenen Lichtes in Abhängigkeit von der Richtung der Polarisationsfilter zueinander und der relativen Lage der Hauptachsen des Kristalles sowie der Wellenlänge des Lichtes, der Brechungsindizes und der Schichtdicke darstellt.

Für eine Probe sei φ, ψ, d, n1 und n2 vorgegeben. Betrachtet man diese Probe im weißen Licht, so ergibt sich eine ungleichmäßige Intensitätsverteilung über die Wellenlängen λ und damit eine Färbung. Die Intensitätsverteilung berechnet sich nach der Formel:

I = I0 (cos²ψ-sin2φsin(φ-ψ)sin²(πd(n1-n2)/λ))

Ein Alltagsgegenstand, der eine ausgeprägte Doppelbrechung aufweist, ist ein Klebefilmstreifen, z.B. Tesafilm. Beim Herstellungsprozess ist das Polymer gewalzt worden, wodurch das Material doppelbrechend wird.

Betrachten wir nun drei Klebefilmstreifen (aufgebracht auf Objektträger aus Glas) unter gekreuzten Polarisatoren, so sehen wir die folgenden Bilder:

Links unten liegt der gereckte Klebefilmstreifen mit seiner Längsachse parallel zur senkrechten Kante. Damit wird φ = 0. ψ beträgt in allen Fällen 90° und cos²ψ = 0. Die Intensität für alle Wellenlängen wird dadurch 0. Das Bild ist schwarz, wie wir beobachten können.

Rechts unten liegt der gereckte Klebefilmstreifen mit seiner Längsachse waagerecht im Bild. Damit wird (φ-ψ) = 0. Die Intensität für alle Wellenlängen wird dadurch ebenfalls 0. Das Bild ist schwarz, wie wir auch hier beobachten können.

In der Mitte oben sehen wir die Hauptachse des Klebefilmstreifens unter 45° zu den Durchlassrichtungen der Polarisationsfilter. Damit ergeben sich Intensitätsverteilungen, die zu einer Farberscheinung führen. Die Intensitätsverteilung und damit die Farbe ist nun abhängig von der Schichtdicke d, von der Differenz der Brechungsindizes (n1-n2), von der Wellenlänge λ und von der Lage der Hauptachsen des doppelbrechenden Materials (φ-ψ) zur Lage der Polarisationsfilter.

Sehr einfach kann man nun die Schichtdickenabhängigkeit der Intensitätsverteilung und damit die Farbänderung als Funktion der Schichtdicke zeigen, indem man mehrere Klebefilmstreifen übereinander legt, wie im nachstehenden Bild gezeigt.

Das Bild zeigt in der Reihenfolge von oben links bis unten rechts

eine Lage, zwei Lagen, drei Lagen, vier Lagen, fünf Lagen, sechs Lagen, sieben Lagen und zwölf Lagen.

Besonders schön sind nun die Farbspiele eines Knäuels eines Klebefilmstreifens, dessen Farberscheinung ebenfalls mit der Formel

I = I0 (cos²ψ-sin2φsin(φ-ψ)sin²(πd(n1-n2)/λ))

für jeden Punkt des Bildes beschrieben werden kann.

Mit diesem Rüstzeug kann man nun nach doppelbrechenden Alltagsgegenständen suchen und die Erscheinungen unter gekreuzten Polarisationsfiltern verstehen. Empfohlen wird zur Untersuchung der klare Teil einer CD-Hülle oder ein durchsichtiges Lineal aus Kunststoff, ebenso wie eine Haushaltsfolie, die man unter der Polarisationseinrichtung reckt, wie im nachstehenden Bild gezeigt.

Nun gibt es aber noch das Phänomen der induzierten Doppelbrechung eines an sich isotropen Materials.

Glas ist eine isotrop erstarrte Schmelze. In einem ungleichmäßig abgekühlten Glas kann aber Doppelbrechung auftreten, weil Schwankungen der Teilchendichte und damit der optischen Dichte auftreten können. Ein anschauliches Beispiel zeigt das nachstehende Foto eines Glasquaders.

Ebenso kann Doppelbrechung durch mechanische Spannung induziert werden. Plexiglas ist im Wesentlichen isotrop. Beansprucht man ein Plexiglasteil mechanisch, so entstehen Zug- und Druckzonen, in denen die Dichte variiert, wie auf den folgenden drei Bildern zu sehen ist. Die schwarzen Bereiche sind die neutralen Zonen, die weiterhin eine isotrope Molekülverteilung aufweisen.

Plexiglasbauteil ohne Belastung

Plexiglasbauteil unter mäßiger mechanischer Spannung

Plexiglasbauteil unter starker mechanischer Spannung

Die beobachteten Phänomene fallen unter den Begriff der Spannungsoptik, mit der durch die Verwendung von polarisiertem Licht die Spannungsverteilung in lichtdurchlässigen Körpern untersucht wird.

Im nachstehenden Absatz wollen wir noch einmal auf das im Kapitel „Flüssigkristall – ein Widerspruch in sich?“ beschriebene Keilexperiment zurückkommen und das Experiment quantitativ beschreiben.

Der Strahlengang am Keil lässt sich mit dem Brechungsgesetz vollständig beschreiben, insbesondere für den Fall des senkrechten Einfalls auf die Eintrittsfläche. Dieser Fall ist insofern besonders einfach, weil sich der ordentliche Strahl und der außerordentliche Strahl bei Einfall senkrecht zur optischen Achse in gleicher Richtung ausbreiten. Es gibt nur eine Phasendifferenz, die allerdings nicht zur Interferenz führt, weil der ordentliche und der außerordentliche Strahl senkrecht zueinander polarisiert sind.

Das Brechungsgesetz lautet allgemein

n1.sinα1 = n2.sinα2

und angewendet auf das Keilpräparat

EPSON scanner image

für den ordentlichen Strahl:

no.sinα = nLuft.sinβ

mit no = 1,55 und nLuft = 1,0003

und α = 15°

ergibt sich

β = 23,7°

und für den außerordentlichen Strahl:

ne.sinα = nLuft.sinγ

mit no = 1,95 und nLuft = 1,0003

und α = 15°

ergibt sich

γ = 30,3°

woraus δ = 6,6° folgt

Für die isotrope Phase ergibt sich

niso.sinα = nLuft.sinε

und für α = 15° und niso = (1/3 (ne² +2no²))1/2 = 1,7

ε = 25,9°

Der Winkel ε liegt zwischen β und γ und teilt den Winkel δ im Verhältnis 2:1 in Richtung β, weil in der isotropen Phase die kurze Molekülachse mit doppeltem Gewicht eingeht gegenüber dem einfachen Gewicht der langen Achse.

Damit ist der Strahlengang am Keilpräparat vollständig beschrieben. Bei einem Keilwinkel von 15° und senkrechter Einstrahlung auf die Eintrittsfläche ergibt sich eine Divergenz des ordentlichen und außerordentlichen Strahles von 6,6°, entsprechend einer Aufspaltung von 11,5 cm/m Projektionsabstand.

Die im realen Experiment begrenzenden Glasplatten haben nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf den quantitativen Strahlenverlauf.

Graphisch angedeuteter Strahlengang am Keilpräparat

Simulation einer TN-Zelle (twisted nematic cell)

Im Kapitel Flüssigkristallanzeigen wurde der Aufbau einer TN-Zelle als optoelektronisches Bauelement (LCD) erklärt. Der doppelbrechende Flüssigkristall ist zwischen zwei leitfähig beschichteten Glasplatten so angeordnet, dass die Orientierung seiner Moleküle eine 90° Schraube beschreibt.

Strahlt man polarisiertes Licht parallel oder senkrecht zur Orientierungsrichtung an einer der Grenzflächen ein, so wird das Licht beim Durchgang durch das Medium um 90° gedreht, d.h. wir beobachten Aufhellung zwischen gekreuzten Polarisationsfiltern und Verdunkelung bei Parallelstellung der Polarisationsfilter. Solch eine TN-Zelle kann leicht mit Klebefilmstreifen simuliert werden, indem man eine Vielzahl Klebefilmstreifen jeweils um wenige Winkelgrade verdreht zueinander aufbringt.

Unter gekreuzten Polarisationsfiltern erkennt man die Aufhellung im Zentrum, unter parallelen Polarisationsfiltern die Verdunkelung. Das Licht folgt der Schraube, die durch die doppelbrechenden Klebefilmstreifen gebildet wird. Der Effeklt wird als „wave-guiding effect“ bezeichnet.

Gekreuzte Polarisationsfilter

Parallele Polarisationsfilter