Chiralität in Flüssigkristallen

Eine chemische Verbindung bezeichnet man als chiral, wenn ihr Bild und ihr Spiegelbild nicht in Deckung zu bringen sind, vergleichbar der rechten und der linken Hand. Die beiden nicht in Deckung zu bringenden Isomere bezeichnet man als Enantiomere.

Abb. 1 Beispiel einer chiralen Verbindung, links im Bild (R)-Butan-2-ol, rechts im Bild (S)-Butan-2-ol

Wird einer nematischen Phase ein Enantiomer einer chiralen Verbindung hinzugefügt, so erfährt die nematische Phase eine kontinuierliche Verdrillung. Die Helixstruktur weist einen Drehsinn auf. Enantiomere induzieren Helices mit unterschiedlichem Drehsinn. Eine verdrillte nematische Phase wird auch als cholesterische Phase bezeichnet. Beschrieben wird die verdrillte Struktur durch den Drehsinn der Helix und die Ganghöhe p (Verdrillung der nematischen Struktur um 360°).

Abb 2. Verdrillung der nematischen Phase bei Zugabe eines Enantiomers einer chiralen Verbindung

Abb. 3 Direktorfeld einer linkshändigen cholesterischen Phase

Für Mischungen aus einer chiralen Komponente und einer nicht chiralen nematischen Phase ist die Ganghöhe p umgekehrt proportional zur Konzentration der chiralen Komponente, wird also mit zunehmender Konzentration kleiner. Besonders hohes Verdrillungsvermögen weisen chirale Verbindungen auf, die der Struktur der mesogenen Moleküle ähnlich sind, z. B. (S)-4′-(2-Methylbutyl)-4-cyanobiphenyl (CB15), das bei Zugabe von einem Gewichtsprozent in einer nematischen Phase eine Ganghöhe von 10 µm induziert.

Abb.4 Struktur CB15

Liegt die mit dem mittleren Brechnungsindex korrigierte Ganghöhe einer cholesterischen Phase in der Größenordnung der Wellenlänge des sichtbaren Lichtes, so tritt als außergewöhnliches optisches Phänomen Selektivreflexion zirkular polarisierten Lichtes auf, die sich als schmalbandige Farberscheinung um ein Maximum λo zeigt.

Abb. 5 Transmissions- und Reflexionsspektrum einer cholesterischen Phase im Bereich um λo

Im Maximum λo = p . n erfolgt eine vollständige Zerlegung des linear polarisierten Lichtes in seine beiden gegensinnig zirkular polarisierten Anteile, wobei eine Komponente vollständig durchgelassen wird, die andere hingegen vollständig reflektiert wird. Diese optische Eigenschaft der cholesterischen Phase zeigt sich als außerordentlich brillantes Farbspiel.

Die eingangs beschriebene Beobachtung des Botanikers Reinitzer, dass nach dem Schmelzen des Cholesterylbenzoats, einer chiralen Verbindung, ein bläulicher Schimmer einer trüben Flüssigkeit zu beobachten war, beruhte ebenfalls auf der Selektivreflexion zirkular polarisierten Lichtes und führte letztlich zur Entdeckung der Flüssigkristalle.

Experimente zur Selektivreflexion zirkular polarisierten Lichtes

An dieser Stelle sollen einfache Experimente den Zugang zum Verständnis des optischen Verhaltens der verdrillten nematischen Phase und zum Verhalten zirkular polarisierten Lichtes schaffen.

Zirkular polarisiertes Licht ist uns im alltäglichen Leben nicht unbedingt vertraut. Es erscheint erst einmal als eher mathematisches Modell, dass man sich linear polarisiertes Licht als Vektoraddition zweier gegenläufig zirkulierender Feldvektoren mit halber Amplitude und gleicher Frequenz vorstellen kann.

Abb. 6 Zusammenhang zwischen linear polarisiertem Licht und zirkular polarisiertem Licht

In einem ersten Experiment wird ein sog. Kontaktpräparat hergestellt. Dazu wird ein Tropfen einer nematischen Weitbereichsmischung an einem Ende eines Objektträgers aufgebracht und ein Tropfen der chiralen Verbindung CB15 am anderen Ende. Legt man einen zweiten Objektträger darauf, so fließen die beiden Flüssigkeiten zusammen und bilden eine Kontaktgrenze, an der die Flüssigkeiten sich durch Diffusion langsam mischen. An dieser Kontaktgrenze entsteht ein Konzentrationsgradient zwischen der nematischen Weitbereichsmischung und der isotropen chiralen Komponente. Das Präparat kann man, wie unten zu sehen ist, mit einer Heißklebepistole mit einem Kunststoff dauerhaft fügen.

Abb. 6 Kontaktpräparat (von oben nach unten abnehmende Konzentration der chiralen Komponente).

Deutlich erkennbar ist die schmalbandige Selektivreflexion circular polarisierten Lichtes über das gesamte sichtbare Spektrum in Abhängigkeit von der Konzentration der chiralen Komponente.

In einem nächsten Schritt wollen wir uns mit der Erzeugung und Analyse von zirkular polarisiertem Licht beschäftigen. Erzeugt wird zirkular polarisiertes Licht, indem man einem Linearpolarisator eine λ/4-Verzögerungsfolie nachschaltet, in der Weise, dass die Hauptachsen der doppelbrechenden Folie unter einem Winkel von 45° zur Polarisationsrichtung des Linearpolarisators stehen. Die γ-Achse ist die Richtung mit der schnelleren Ausbreitungsgeschwindigkeit. Im doppelbrechenden Medium können sich die elektrischen Feldvektoren nur in Richtung der Hauptachsen ausbreiten. Der Gangunterschied beim Duchgang durch die Verzögerungsfolie beträgt gerade λ/4. Abbildung 7 zeigt, dass das Licht nach Durchgang durch die Anordnung zirkular polarisiert ist. Viele Klebefilmstreifen (Tesafilm, 3M ….) stellen eine nahezu ideale λ/4-Verzögerungsfolie dar. Klebt man solch einen Klebefilmstreifen unter 45° auf eine Polarisationsfolie, erhält man einen Zirkularpolarisator. Je nach Richtung +45° oder -45° ist das resultierende Licht rechts- oder linkszirkular polarisiert. Trifft zirkular polarisiertes Licht auf die Seite der λ/4-Verzögerungsfolie, so wird nur eine Händigkeit durchgelassen, die andere wird gesperrt. Trifft also z.B. rechtszircular polarisiertes Licht auf den Zirkularpolarisator, der rechtszirkular polarisiertes Licht erzeugt, dann wird es duchgelassen, linkszirkular polarisiertes Licht hingegen nicht. Nun gibt es nur wenige physikalische Phänomene, die die Überprüfung dieser Aussage gestatten. Am spektakulärsten ist die Beobachtung der Selektivreflexion zirkular polarisierten Lichtes an verdrillten nematischen (cholesterischen) Phasen.

Abb. 7 Erzeugung zirkular polarisierten Lichtes

Das Präparat aus Abb. 5 soll nun mit einem rechtszikularen Polarisationsfilter und einem linkszirkularen Polarisationsfilter betrachtet werden.

Abb. 8 Kontaktpräparat unter Rechtszirkularpolarisator

Abb. 9 Kontaktpräparat unter Linkszirkularpolarisator

Der rechtszirkulare Polarisator erzeugt rechtszirkular polarisiertes Licht, welches an der rechtshändigen Helix des verdrillten Flüssigkristalls reflektiert wird und als rechtszirkular polarisiertes Licht auf den Zirkularpolarisator trifft und durchgelassen wird. Der linkszirkulare Polarisator erzeugt linkszirkular polarisiertes Licht, welches an der rechtshändigen Helix des verdrillten Flüssigkritalls nicht reflektiert sondern durchgelassen wird und von dem schwarzen Hintergrund absorbiert wird.

Betrachten wir ein Präparat mit einer Mischung, die Selektivreflexion im grünen sichtbaren Bereich aufweist, dann sehen wir in Reflexion die schmalbandige Selektivreflexion zirkular polarisierten Lichtes

Abb. 10 Cholesterischer Flüssigkristall mit Reflexionsmaximum im grünen sichtbaren Bereich

Das zugehörige Spektrum entspricht dem rot umrandeten Bereich.

Abb. 11

Betrachtet man das Präparat mit einem linkszirkularen Polarisationsfilter, so ist keine Farberscheinung zu erkennen.

Abb. 12

Nun wollen wir das Präparat noch im Durchlicht betrachten.

Die Abbildung 13 zeigt das in Reflexion grüne Präparat im Durchlicht. Im sichtbaren Spektrum fehlt nun die schmalbandige grüne Reflexionsbande

Abb. 13

Das zugehörige Spektrum ist rot umrandet

Abb. 14

Abb. 15

Betrachtet man das Präparat durch einen rechtszirkularen Polarisationsfilter (Abb. 15), so erscheint die Färbung intensiver, weil das linkszirkular polarisierte Licht nicht durchgelassen wird. Das zugehörige Spektrum ist rot umrandet in Abbildung 16 zu sehen.

Abb. 16

Betrachtet man das Präparat unter einem linkszirkularen Polarisationsfilter, so ist keine Farbe zu erkennen, weil das rechtszirkulare Licht nicht durchgelassen wird.

Abb 17

Das zugehörige Spektrum ist in Abbildung 18 rot umrandet dargestellt.

Abb 18

Bis zu diesem Punkt haben wir das Reflexionsverhalten und Transmissionsverhalten einer verdrillten nematischen Pase mit Selektivreflexion zirkular polarisierten Lichtes analysiert.

Nun wollen wir uns noch einer besonderen Eigenschaft zirkular polarisierten Lichtes zuwenden: Wird zirkular polarisiertes Licht an einem metallischen Spiegel reflektiert, so ändert sich der Drehsinn, d.h. rechtszirkular polarisiertes Licht wird an einem metallischen Spiegel als linkszirkular polarisiertes Licht reflektiert und umgekehrt. Dies soll an zwei Experimenten nachgewiesen werden.

Abb. 19

In Abbildung 19 ist eine Probe mit einer rechtshändigen verdrillten nematischen Phase vor einem Spiegel zu sehen. Bild und Spiegelbild haben das gleiche Erscheinungsbild.

Abb 20

Betrachtet man die Anordnung durch einen rechtszirkular polarisierenden Filter, so wird das rechtszirkular polarisierte Licht der Reflexion an der Probe durchgelassen, das Spiegelbild hingegen erscheint dunkel, weil am metallischen Spiegel der Drehsinn des zirkular polarisierten Lichtes umgekehrt wird und als linkszirkular polarisiertes Licht zurückgespiegelt wird. Linkszirkular polarisiertes Licht wird aber vom Rechtszirkularpolasationsfilter nicht durchgelassen.

Beim nächsten Experiment wird ein Rechtszirkularpolarisationsfilter auf einen Spiegel gelegt. Die vom Filter abgedeckte Reflexionsfläche erscheint dunkel, weil das auftreffende rechtszirkular polarisierte Licht bei der Spiegelung zu linkszirkular polarisiertem Licht wird und vom Filter gesperrt wird.

Abb. 21

Zirkulare Doppelbrechung in chiralen Lösungen

Abschließend soll noch der Durchgang von linear polarisiertem Licht durch eine Lösung mit einer chiralen Verbindung betrachtet werden. Bekannt ist, dass die Ebene des linear polarisierten Lichtes um einen kleinen Winkelbetrag gedreht wird, wenn es durch eine Lösung mit einer chiralen Verbindung geschickt wird, z.B. eine Zuckerlösung (Saccharimetie). Dieses Phänomen kann als zirkulare Doppelbrechung aufgefasst werden. Das linear polarisierte Licht kann, wie oben beschrieben, aufgefasst werden als Ergebnis der Vektoraddition zweier gegenläufig zirkulierender Feldvektoren mit halber Amplitude und gleicher Frequenz. Wenn nun das rechts- und das linkszirkular polarisierte Licht unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeiten in dem Medium aufweisen (zirkulare Doppelbrechung), dann ist das im Ergebnis gleichbedeutend mit einer Drehung der Polarisationsebene des linear polarisierten Lichtes.

Abb. 22